japanische Plastik: Buddha-Figur und Porträt

japanische Plastik: Buddha-Figur und Porträt
japanische Plastik: Buddha-Figur und Porträt
 
Während von der buddhistischen Bildhauerkunst Chinas fast nur noch die Steinskulpturen der Felsentempel erhalten sind, vermitteln uns die in Japan überlieferten Altarfiguren aus vergoldeter Bronze, Ton, Trockenlack und Holz eine Vorstellung von der Hochblüte chinesischer Tempelplastik in den Metropolen der Tang-Zeit (618 bis 907). Die ersten Werke der japanischen Kultplastik entstanden, als unter Kaiserin Suiko und ihrem Regenten Shōtoku-taishi 594 der Buddhismus zur Staatsreligion erklärt worden war. Eine der bedeutendsten frühen Bronzefiguren ist die im Wachsausschmelzverfahren gegossene Shakyamuni-Trias im Hōryūji-Tempel. Sie wurde 623 im Gedenken an Prinz Shōtoku-taishi geschaffen und befindet sich seit 693 in der Goldenen Halle des Hōryūji. Der Schöpfer dieser Bronzen orientierte sich noch an dem einhundert Jahre älteren archaischen Stil der Nördlichen Wei-Dynastie Chinas (4.-6. Jahrhundert), der ihm durch transportable Bronzealtäre bekannt gewesen sein muss. Der Stil der unter indischem Einfluss stehenden, reifen Tang-Plastik, der sich durch die Betonung des Körpervolumens unter dünnem Gewand auszeichnete, gelangte erst im 8. Jahrhundert nach Japan. Zu den Meisterwerken des japanischen Bronzegusses gehören die Statuen des Medizin-Buddha Yakushi und der ihn begleitenden Bodhisattvas, die um 720 für den Altar des Yakushi-Tempels (Yakushiji) in Nara gegossen wurden.
 
Andere Techniken, wie die Tonmodellierung und das Verfahren, mit Trockenlack getränkte Tücher schichtweise auf einen Tonkern aufzutragen, kamen der realistischen Auffassung der Tang-Künstler entgegen und wurden im 8. Jahrhundert in Japan aufgenommen. Die bemalte Trockenlackfigur des erblindeten chinesischen Priesters Ganjin im Tōdaiji in Nara von 763 ist das älteste erhaltene Beispiel ostasiatischer Porträtplastik. Von der barocken Ausdruckskraft buddhistischer Schutzgottheiten zeugt die farbig gefasste Tonfigur des einen Donnerkeil schwingenden Gesetzeswächters Shikkongōshin (ebenfalls im Tōdaiji) von 733.
 
In Zeiten weniger starker Kontakte zum Festland entwickelten sich jedoch auch spezifisch japanische Züge. Seit dem Ende des 8. Jahrhunderts dominiert in der japanischen Kultplastik des esoterischen Buddhismus die »Ein-Stamm-Technik« (»ichibokuzukuri«) der aus einem Stück gefertigten Holzskulptur im Jōgan-Stil. Die organische Strukturierung weicht der dem Material entsprechenden, Gewand und Körper verschmelzenden Blockhaftigkeit der Holzfiguren. Die Gewandfalten haben sich zum tiefen Relief der »rollenden Wogen« (»hompashiki«) verselbstständigt. Im Jōgan-Stil scheint sich ein typisch japanischer Formungswille auszudrücken. Im 11. Jahrhundert entwickelten die mit Holz arbeitenden Bildhauer mit der Yosegi-Technik ein neues, arbeitsteiliges Verfahren: Die im Inneren hohlen, oft mit Beigaben ausgestatteten Figuren werden aus vielen Holzteilen zusammengefügt, geschnitzt und vergoldet. Der Bildhauer tritt jetzt aus seiner Anonymität heraus und wird als selbstständig schaffender Künstler und »Buddha-Meister« (»busshi«) mit höchsten priesterlichen Titeln ausgezeichnet. Das Meisterwerk heianzeitlicher Skulptur ist die monumentale Amida-Statue, die der 1057 verstorbene Jōchō 1053 für die Phönix-Halle im Byōdōin-Tempel in Uji schuf. In dieser trotz symmetrischer Strenge und Bewegungslosgkeit von gesammelter Lebenskraft erfüllten Figur fand die Heian-Plastik ihre höchste Vollendung. Der höfische Geschmack am diesseitigen Liebreiz buddhistischer Gottheiten verlangte in der späten Heian-Zeit nach dem üppigen Farbenspiel prächtig bemalter und mit geschnittener Goldfolie gezierter Gewandfiguren. Die 1212 geschaffene, aus vielen Teilen zusammengefügte Holzfigur der Glücksgöttin Kichijōten (im Jōruriji-Tempel) ist ein spätes Beispiel für die dekorative Verfeinerung der späten Heian-Plastik.
 
Eine neue Woge chinesischer Kunst und Religion erreichte Japan in der Kamakura-Zeit (1185 bis 1382) und stimulierte die in Nara florierenden Bildhauerhütten. Der Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Tempel in der alten Hauptstadt erforderte das Studium ihrer alten Bildwerke und förderte die Rückkehr zu stärkerer Naturbeobachtung. Ihr verdanken sich so lebensnahe Figuren wie Unkeis Buddha-Jünger Muchaku und Seshin (1208) im Kōfukuji-Tempel in Nara.
 
Der von der Kriegerkaste geförderte Zen-Buddhismus setzte der Erlöserreligion des Amidismus und dem komplizierten Dogma der esoterischen Sekten die mündliche, vom Lehrer an den Schüler übermittelte Lehre entgegen. Bedeutende Zen-Priester und Tempelgründer wurden jetzt in Porträtfiguren verewigt, denen in Gedächtnistempeln eine vom chinesischen Ahnenkult geprägte, postume Verehrung gilt. Während aus der Heian-Zeit fast keine Porträts erhalten sind, entstanden bis zum Niedergang der buddhistischen Kunst im 15. Jahrhundert naturalistische, zuweilen mit aus Glas gegossenen Augen und echten Haaren ausgestattete Porträtskulpturen von Tempelgründern und Zen-Priestern. Aber auch Bildnisse weltlicher Würdenträger in höfischer Tracht werden seit dem 13. Jahrhundert zum Kultobjekt in buddhistischen Grabtempeln.
 
Die Aufstellung der buddhistischen Figuren auf einem Altar oder in einem Schrein erforderte die frontale Ausrichtung auf den Betrachter. Nur selten, wie etwa bei seitlich platzierten Schutzgottheiten, sind die Figuren rundplastisch gestaltet. Die Konfigurationen zeigen in ihrer Mitte das streng stilisierte Hauptkultbild des Buddha. Ihm sind Figurentypen von zunehmender Lebensnähe wie Bodhisattvas, Gottheiten, dämonische Wissenskönige, kriegerische Wächterfiguren und menschliche Buddha-Jünger und Heilige zugeordnet. Im Unterschied zu dem an der Geschichte der antiken oder der abendländischen Kunst ablesbaren Prozess, der von einer Abstraktion zum Realismus führte, hat die ostasiatische Bildhauerei gleichzeitig hoch stilisierte und - vor allem in der Porträtkunst - naturalistische Figuren von geradezu täuschender Lebensähnlichkeit hervorgebracht. Man unterscheidet in der buddhistischen Ikonographie deshalb zwischen dem Typenstil der einzelnen Heilsfiguren des buddhistischen Pantheons und dem Zeitstil, dem die Hierarchie der Gestalttypen unterworfen ist.
 
Vieles deutet allerdings darauf hin, dass die aus Indien und Zentralasien stammende buddhistische Ikonographie schon in China durch Figurentypen und rituelle Praktiken des einheimischen Ahnen-und Grabkultes bereichert und modifiziert worden ist. Aus der vorbuddhistischen Plastik übernommen wurde sicherlich die mit echten Kleidern kostümierte Nacktfigur, die unter japanischen Buddha-Statuen und Porträts nicht selten ist. Auch die Beigabe von Knochen, Buddha-Reliquien und heiligen Schriften im Innern von Buddha-Figuren und Porträtstatuen hat vermutlich einen chinesischen Ursprung. Zur Beseelung buddhistischer Kultfiguren trägt auch die rituelle »Augenöffnung« anlässlich der Weihe der Kultbilder bei. Wie im Ahnenkult können neben die Opfergaben Blumen und Weihrauch auch Speise- und Getränkeopfer treten, die für das leibliche Wohl der Kultfiguren sorgen. Die als beseelt gedachte buddhistische Altarfigur war nicht nur ein Abbild, sondern zugleich auch ein sakrales Gefäß, das die geistige Essenz der Gottheit oder des zur Unsterblichkeit gelangten Heiligen enthielt.
 
Prof. Dr. Doris Ledderose-Croissant
 
 
Elisseeff, Danielle und Elisseeff, Vadime: Japan. Kunst und Kultur. Ins Deutsche übertragen von Hedwig und Walter Burkart. Freiburg im Breisgau u. a. 21987.

Universal-Lexikon. 2012.

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